"Mama, wo kommen eigentlich die kleinen Queyels her?"
Als ich diese Frage aus dem Mund eines kleinen Wandlerkindes hörte, musste ich zuerst darüber schmunzeln, bis mir auffiel, dass sie sehr berechtigt ist und auch mir selbst die Antwort dazu fehlte. Ich weiß nicht, was die Mutter geantwortet haben mag, aber ich möchte bezweifeln, dass das Kind mit der allgemein gültigen Erklärung, dem Storch, einverstanden war, bedenkt man, welch enormes Exemplar dieser Gattung dazu notwendig wäre..... Ich wurde neugierig und beschloss eigene Nachforschungen anzustellen. Und in der Tat, gibt es nur sehr wenige Berichte über den Paarungsprozess der Queyel, denn sie betrachten diesen Prozess als heilig und nur die wenigsten erklären sich dazu bereit, überhaupt nur darüber zu sprechen. Allerdings konnte aus den einzelnen Berichtfragmenten im Laufe der Zeit ein Gesamtbild zusammengefügt werden, dass ich hier nun vorstellen will. Wie im Allgemeinen bekannt ist, leben die Queyel meist in großen Gemeinschaften, zum Teil auch in kleineren Gruppen zusammen, wobei die Mindestanzahl, interessanterweise, ausnahmslos drei Queyel umfasst. Dies könnte man zunächst damit begründen, dass die Drei eine heilige Zahl für die Queyel darstellt, doch noch sinnvoller ist die Erklärung, dass dies lediglich aus Vorsicht geschieht, denn es dient im Notfall der Arterhaltung. Tatsächlich verhält es sich bei den Queyel so, dass sich drei Erwachsene, unterschiedlichen Geschlechtes, zusammenfinden müssen, um neues Leben zu erschaffen. Meist sind dies enge Vertraute oder Freunde, die sich gegenseitig bedingungslos vertrauen. Man wird allerdings nie Geschwister oder Elternteile unter den zukünftigen Elternqueyel finden. Entschließen sich nun solch enge Freunde dazu, der Gemeinschaft ein neues Kind, auch liebevoll "Dreichen" genannt, zu schenken, wird dieser Entschluss von der gesamten Gemeinschaft begrüßt, denn dies ist durchaus kein alltägliches Ereignis und obendrein nicht ganz ungefährlich. Die künftigen Eltern suchen sich zuallererst eine Höhle abseits der Gemeinschaft, in der sie nur für sich sein können. Oft werden dazu Höhlen in den Tiefengräben oder Schluchten genutzt, was wohl hauptsächlich mit dem Glauben der Queyel zusammenhängt und ihrer intuitiven Sehnsucht zur Tiefe. Wurde eine passende Höhle gefunden, wird sie zunächst gesäubert. Anschließend wird ein erstes rituelles Festmahl abgehalten, denn die Eltern werden bald für längere Zeit keine Nahrung mehr zu sich nehmen können. Danach beginnen die Elternqueyel aus der Umgebung Sand und Gesteinsbrocken zusammenzutragen und sie zu einem Haufen aufzuschichten, der ungefähr die Größe von 1m mal 1m besitzt. Da jeder Stein und selbst der Sand sorgsam und liebevoll ausgewählt werden, kann sich dieser Sammelprozess über Tage, wenn nicht gar Wochen hinziehen. Es soll auch schon vorgekommen sein, dass kurz vor Vollendung des Haufens die Eltern plötzlich kein Material mehr fanden, mit dem sie zufrieden waren. In solchen Fällen muss dann erst eine neue Höhle gefunden werden, so lange, bis die Eltern mit dem Haufen wirklich zufrieden sind. Verläuft jedoch alles nach Plan, erfolgt nach dieser anstrengenden Arbeit das zweite rituelle Festmahl. Hier nehmen die Eltern für lange Zeit das letzte Mal Nahrung zu sich. Danach versiegeln sie die Höhle mit Gesteinsbrocken von innen und das eigentliche Ritual beginnt. Die Elternqueyel gruppieren sich um den zusammengetragenen Haufen und fassen sich an jeweils zwei Händen, während sie die dritte Hand in die Mitte auf oder in den Haufen legen. Nun beginnen sie rhythmisch mit den Füßen zu stampfen oder auch zu scharren und versetzen sich so langsam in eine Art Trance. Es ist der Beginn eines sehr, sehr langen und sehr komplizierten Liedes, das kein Queyel bewusst rezitieren kann. Es ist rein intuitiv, kommt aus dem Innersten der Anwesenden Queyel und unterscheidet sich vermutlich von Ritual zu Ritual. Fest steht nur eines: Irgendwie müssen die Schwingungen des Liedes es ermöglichen, dass sich aus den Steinen und dem Sand ein Queyelkind zusammenfügt. Wie es möglich ist, aus dieser leblosen Materie letztlich ein Lebewesen zu formen, ist völlig unklar, doch offensichtlich scheint es zu funktionieren. Doch nicht nur das. Das Lied, das im Übrigen Monate, Jahre oder gar Jahrzehnte dauern kann, scheint noch zwei weitere sehr wichtige Eigenschaften zu besitzen: 1) Das Dreichen zeigt grundsätzlich Eigenschaften und Fähigkeiten, die seine Eltern besitzen. Doch scheinen diese keinen Einfluss darauf zu haben, welche Eigenschaften an ihr Kind vererbt werden. Vielmehr ist es so, dass es ein Prozess sein muss, der von jedem Elternteil per Zufall Fähigkeiten und Eigenschaften in das Kind übergehen lässt. 2) Es ist ja bekannt, dass jedes Queyel nach Belieben sein Geschlecht ändern kann. Auch dies ist eine Auswirkung des Liedes, die wahrscheinlich der ersten sehr gleicht, nur dass hier anscheinend gezielt das aktuelle Geschlecht jedes Elternqueyel mit in das Dreichen einfließt, wodurch es später die Fähigkeit haben wird, sich sein Geschlecht nach seinem Belieben auszuwählen. Im Übrigen dachte man bisher, dass alle Queyelkinder als neutrum geboren werden, doch dieser Aberglaube wurde mittlerweile aufgeklärt. Queyelkinder können sowohl männlich, weiblich oder neutral geboren werden, was vermutlich wiederum der reine Zufall entscheidet. Interessant ist jedoch, dass viele Queyel zwar ihr Geschlecht wechseln, dass ihnen dabei allerdings ihr Geburtsgeschlecht meist das liebste ist. Die Gesteinssorte, die am meisten im Haufen vorkommt, wird vermutlich später der bevorzugte heilige Stein des Queyel sein. Eine andere Theorie besagt jedoch, dass es eher der Stein ist, der am wenigsten vorhanden war und somit ein Begehren danach erzeugt wurde. Das Lied hat, wie bereits erwähnt, keine bestimmte Dauer. Es endet, wenn es zu Ende ist. Und hierin liegt der gefährliche Aspekt. Während die Queyel in Trance sind, können sie keine Nahrung aufnehmen. Zwar sind ihre Körperfunktionen in der Zeit des Liedes fast vollständig zum Erliegen gekommen, doch dauert ein Lied zu lang, kann es sein, dass irgendwann selbst ein Queyel keine Reserven mehr hat. In solch einem Fall muss das Lied abgebrochen werden und das Kind wird nie lebensfähig sein, noch können die gesammelten Materialien noch einmal verwendet werden. Auch eine Fortsetzung des Rituals ist nach einer Unterbrechung nicht mehr möglich. Viel gefährlicher ist jedoch die Tatsache, dass die Queyel während des Rituals und der ersten Woche nach dem Erwachen des Kindes völlig hilflos sind. Schafft es ein Eindringling die Queyel in der Höhle aufzuspüren und zu ihrem Formplatz vorzudringen, kann er ihnen großen Schaden zufügen oder sie gar töten. Dies ist eine weitere Ursache dafür, dass es nicht viele Queyelkinder gibt, denn es passiert oft, dass Eltern nicht zurückkehren. Geht jedoch alles nach Plan und verstreicht das Rituallied in seiner vollen Länge, erwacht nach Beendigung des Liedes ein kleines Queyelkind zum Leben. Die Eltern befreien es liebevoll von den Sand- und Steinresten und brechen danach zu aller erst die Versiegelung der Höhle auf, so dass das Dreichen frische Luft zum Atmen bekommt. Kurz danach erfolgt das dritte rituelle Festmahl, bei dem das Dreichen als erstes lernt, Nahrung aufzunehmen, die es von seinen Eltern gereicht bekommt. Sobald das Dreichen seinen Körper gut genug unter Kontrolle hat, brechen die vier gemeinsam auf, um zu ihrer Gemeinschaft zurückzukehren. Dort wird das Dreichen die nächsten drei Jahre von seinen Eltern und nahen Verwandten versorgt werden, und danach ist die die gesamte Gemeinschaft für die Erziehung des Kindes zuständig, das in dieser Zeit alle seine Fähigkeiten entdecken wird und das Wissen der Gemeinschaft vermittelt bekommt. Auch für die Eltern ist dies eine aufregende Zeit, da ja keiner weiß, welche Eigenschaften das Kind geerbt hat und sie freuen sich mit jeder Entdeckung einer neuen Fähigkeit oder Begabung mit. In den nächsten Jahren wächst das Dreichen langsam, aber stetig weiter, in dem es im Schlaf unbewußt Sand und kleine Steinchen zu sich nimmt. Nach insgesamt 33 Jahren erreicht das Queyelkind dann das Erwachsenenalter und gilt von diesem Zeitpunkt an als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft. |
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- Geschrieben und zusammengetragen von Ric, dem Denus. |
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