4. Kapitel


Spuren eines Wahnsinnigen




Einen halben Tag vor Haven beschlossen die Gefährten, den Weg zu Fuß fortzusetzen. Zum einen, um nicht allzuviel Aufsehen zu erregen und zum anderen ...
„Ich möchte mal wieder richtigen ehrlichen Boden unter den Füßen haben", sagte Telsek. „Und außerdem habe ich so ein Gefühl ..."
Seit dem Zwischenfall am Felsbogen trauten die Zauberkundigen Telseks Bauch fast ebenso wie einer Astraluntersuchung. Und insgeheim gab auch Dryan ihm recht - ein wenig Bewegung konnte ihnen nur guttun und vielleicht ergab sich noch eine Gelegenheit für ein kleines Abenteuer.
Will sagte nichts, er schickte die Feuerelementare fort und fiel mit stoischer Ruhe in seinen gleichmäßigen Wanderschritt. Sie würden Haven bei Einbruch der Nacht erreichen.

Die Freunde durchschritten das Wäldchen, das die alte Handelsstraße säumte, als Telsek einen kurzen Pfiff ausstieß.
Dryan und Will hielten sofort an und warfen einen Blick zu dem riesigen Krieger, der wie erstarrt auf der Straße stehengeblieben war. Er schien zu lauschen, dann wies er nach links, in den Wald hinein.
„Da ist etwas Ungewöhnliches. Aber ich glaube, wir müssen nicht kämpfen."
Ohne weitere Erklärung zerteilte er die Büsche und die Zauberkundigen folgten ihm.
Nach einigen Dutzend Schritten stießen sie auf eine kleine Lichtung.
Telsek wies flüsternd nach vorn: „Na bitte."
Auf der Lichtung stand ein Zelt aus braun-grünem Leder, so groß, daß ein Dutzend Namensgeber darin Platz finden würde. Durch die Farbe verschmolz es fast mit der Umgebung und außerdem war es mit einem Tarnzauber belegt, wie Dryan schnell feststellte. Die Gefährten zogen sich rasch und lautlos aus der Sichtweite des Zeltes zurück, um sich zu beratschlagen.
Will schlug dem Troll anerkennend auf die Schulter.
„Ich hätte nicht gedacht, daß du so gute Instinkte hast. Bist du sicher, daß du nicht ein bißchen zaubern kannst?"
Telseks Eckzähne blitzten auf und er mußte an sich halten, um nicht in schallendes Lachen auszubrechen. Sollte er ein bißchen vor seinen Gefährten mit fiktiven Fähigkeiten angeben? Nein, das lag ihm gar nicht.
„Kein Instinkt, mein Freund, reiner Zufall. Ich habe gesehen, daß die Zweige an dem Strauch geknickt waren. Und eine Fußspur. Etwas eigentümlich hier."
Dryan stimmte ihm zu. Warum sollte ein Namensgeber so kurz vor der sicheren Stadt Haven mitten in einem als gefährlich bekannten Wald ein Zelt aufschlagen? Zumal das Zelt schon längere Zeit hier stehen mußte. Seine Bewohner hatte sich zwar große Mühe gegeben, keine Spuren zu hinterlassen, aber die Pflanzen auf dem Weg zur Straße waren kaum merklich geknickt und zum Teil schon vertrocknet.
„Sehen wir uns die Sache mal an", schlug Will vor. „Vielleicht ist der Vogel ausgeflogen und das Zelt leer."
Vorsichtig schlichen die Gefährten im Schutz der Bäume am Rand der Lichtung näher. Kein Laut drang aus dem Zelt. Eine Astraluntersuchung ließ den Elf jedoch plötzlich stehenbleiben und seine Freunde mit einem Handsignal zum Stehen bringen.
„Kadavermenschen", flüsterte er. „Zehn Stück, aber völlig bewegungslos."
Er zuckte die Schultern.
„So als hätte man sie abgeschaltet."
Der Krieger sah ihn fragend an.
„Ihr Meister ist wohl nicht in der Nähe. Aber wenn wir das Zelt betreten, werden sie uns sicherlich angreifen", erklärte der Magier.
„Und sonst?" fragte Will.
„Eine magische Falle im Eingang und ein paar Schutz- und Alarmzauber. Da hat sich jemand große Mühe gegeben, ungestört zu bleiben", antwortete Dryan.
Jetzt schloß Will die Augen. Er hätte nie zugegeben, daß er neugierig war, aber dennoch suchte er nach einer Lücke in der magischen Verteidigung. Und er fand auch eine.
„An der Rückseite gibt es eine dünne Stelle. Da könnten wir ein kleines Loch in die Wand schneiden. Laßt uns wenigstens einen Blick hineinwerfen."
Seine Freunde nickten lächelnd. Keiner von ihnen mochte ungelöste Rätsel.
Vorsichtig schlichen die drei hinter das Zelt. Die Stelle, die Will entdeckt hatte, war durch einen Zweig entstanden, der die Lederwand berührte und wahrscheinlich bei jedem Windzug darüber streifte. Der Elf zog seinen Dolch aus dem Stiefel und schnitt ein Loch von drei Zoll Größe in das Leder, während Will und Telsek die Luft anhielten.
Nichts geschah.
Dann beugte sich Dryan vor und warf ein Blick durch den Schlitz, den er vorsichtig mit der Klinge aufschob. Nach ein paar Minuten gab er den Platz frei und auch die anderen spähten kurz durch das Loch. Dann zogen sie sich einige Schritte vom Zelt zurück, um im Schutz eines Gesträuchs zu beraten.
„Der Einrichtung nach ein wohlhabender Theraner", begann Will.
„Sehr wohlhabend", warf der Troll ein.
Solchen Luxus hatte er bisher nur in Vivane gesehen, seidene Teppiche und Kissen, Möbel mit Goldintarsien, vornehmste Kleidungsstücke eindeutig theranischen Stils. Die Größe der Gewänder ließ auf einen Zwerg schließen.
„Selbst die Kadavermenschen tragen gepflegte Kleidung", ergänzte Dryan.
„Habt ihr die kleine Statue gesehen?" fragte der Elementarist seine Freunde.
Beide nickten bedrückt.
„Raggok. Paßt zu den Zombies."
Telsek schüttelte sich.
„Ich hätte Lust, das Ding anzuzünden."
Der Magier hielt ihn zurück, als er einen entschlossenen Schritt auf das Zelt zu machte.
„Das bringt nicht viel. Es wäre besser, wenn wir den Besitzer des Zeltes erwischen würden und erst einmal herausfinden könnten, was er hier tut."
Der Troll ließ die Schultern hängen.
„Wir haben keine Zeit. Denk an Kron und Kaliya!"
Wills Enttäuschung spiegelte sich nicht auf seinen Zügen.
„Vielleicht finden wir in Haven ein paar Antworten auf dieses Problem, aber wir müssen unsere Aufträge erfüllen."
Tröstend legte er dem Troll den Arm um die Schulter.
„Ich weiß, wie du dich fühlst. Aber wir können die Welt nicht an einem Tag retten."
Bedrückt begaben sich die Gefährten zurück zur Straße.

Die Sonne war gerade untergegangen, als die Abenteurer das südöstliche Tor Havens erreichten. Wie immer lag über den Ruinen im Hintergrund ein schwach leuchtender Dunst, der den Blick auf den Sternenhimmel verhüllte.
Heute abend stand Hakenhuf am noch offenen Stadttor, wie immer gerade am Schimpfen. Wahrscheinlich hatte einer der Wächter eine Bemerkung gemacht, die der Ork als Beleidigung seiner Herkunft auffaßte. Und es gab fast nichts, was Hakenhuf anders verstand.
„Heda, großer Steppenreiter!" rief Will.
Der Ork ließ von dem jungen Zwerg ab, der, den Kopf tief eingezogen, das Gewitter über sich ergehen lassen hatte. Ein Lächeln, bei dem mehr Zähne als bei Telsek aufblitzten, entspannte das gerade noch wutverzerrte Gesicht des alten Orks.
„Wenn das mal nicht die Spinner sind, von denen Vardeghol heute noch schwärmt. Wo habt ihr den Rest gelassen?"
Hakenhufs braune Augen schweiften suchend die Straße entlang.
„Der Rotbart hatte mir noch eine Revanche versprochen, diesmal mit Hurlg statt mit Zwergenbier."
Ein Blick in die ernsten Gesichter der Gefährten beantwortete seine Frage.
Leiser fuhr der Ork fort: „Muß ja schlimm gewesen sein. Na, kommt erst mal rein. Bei Tylia findet heute ein Fest statt, aber für euch findet sich sicherlich noch ein Plätzchen."
Hakenhuf schob das Tor weiter auf und ließ die Freunde hindurch.
„Vielleicht komme ich später noch in den Ruhelosen Troll, wenn ich den jungen Spunden beigebracht habe, wie man anständige Leute von Taugenichtsen unterscheidet."
Damit wandte er sich wieder den drei jungen Wächtern zu und begann einen seiner endlosen Vorträge.
Die Gefährten gingen die Hauptstraße hinunter. In den letzten Monaten hatte sich Haven nur unwesentlich verändert. Das heißt, es war immer noch laut und schmutzig und durch die Straßen zogen Gruppen von Namensgebern, die auf Meilen gegen den Wind nach Abenteurern rochen. Je nach Zustand der Ausrüstung ließ sich meist sofort erkennen, welche Gruppe voller Zuversicht in die Ruinen vorstoßen wollte und welche mehr oder weniger erfolgreich zurückgekehrt waren. Vor der Kartenwand diskutierten ein abgerissener Zwergenkrieger und eine in schillernde Farben gekleidete Windlingsfrau, die offensichtlich zu der ersten Gruppe gehörten, über den besten Weg in die Mausoleen.
Dryan, Will und Telsek blieben stehen. Das Gespräch brachte sie zum Grinsen. Die beiden hatten ja keine Ahnung! Als die geflügelte Illusionistin einen Blick in die Gesichter der Zuhörer warf, zuckte sie nur beleidigt die Schultern und zog den Zwerg am Ärmel davon.
Die Gefährten musterten das Gewirr von Linien, Markierungen, Schriftzeichen und Symbolen, die die Wand gegenüber des Ruhelosen Trolls bedeckten. Will wies seine Freunde auf ein paar Totenköpfe in giftgrüner Farbe hin.
„In den Windungen haben sie ein paar neue Fallen gefunden. Und ein paar Häuser in den Kleinen sind wohl inzwischen ausgeräumt."
Dryan näherte sein Gesicht der bezeichneten Stelle.
„Bist du sicher?" fragte er. „Ich finde, das sieht eher aus, als hätte sich jemand einen Spaß gemacht. Das Gebäude da stand doch schon das letzte Mal nicht mehr."
Telsek sah seinen Gefährten lächelnd zu. Bei ihren Abstechern in die Ruinen hatten sie mehr als einmal festgestellt, daß die Kartenwand nur bedingt richtige Informationen lieferte und außerdem einige Gegenden die unangenehme Eigenschaft hatten, sich unmerklich, aber ständig zu verändern.
Zudem hatte jeder Schatzsucher, der die Kartenwand ergänzte, seine eigenen Vorstellungen von Maßstab, Himmelsrichtung und Symbolik.
Die besten Informationen lieferten immer noch Vardeghols Karten, die sie beim letzten Besuch in Haven vollständig erworben und ohne zu feilschen bezahlt hatten. Das war der eine Grund, weshalb sie bei der Informationshändlerin wohl immer noch einen Stein im Brett hatten. Der andere war, daß sie der T'skrang fast umsonst ihre Erfahrungen weitergegeben hatten. Es zahlte sich immer aus, gute Verbindungen zu pflegen.
Schließlich wandten sich auch die Zauberkundigen von der bunten Kritzelei ab und gingen die wenigen Schritte zum Ruhelosen Troll hinüber, aus dessen Erdgeschoßfenstern Licht und Lärm drangen. Noch einmal die Lungen tief mit frischer Luft füllend öffneten sie die Tür und betraten den niedrigen Gastraum.
„Wie immer", bemerkte Dryan zwischen zwei Hustenanfällen.
Der Raum war erfüllt von Rauchschwaden, die Luft hätte man in Stücke schneiden und hinaustragen können. Irgendwelche Musikfetzen erklangen zwischen den lautstarken Gesprächen, die in allen bekannten Sprachen geführt wurden, der Stimme eines Obsidianertroubadours gelang es zeitweilig, den Krach zu übertönen. Es wurde ab und zu kurz leiser, wenn eine scharfe Anweisung der Wirtin erklang, die sich mühelos gegen die Geräuschkulisse durchzusetzen schien. Telsek voran, bahnten sich die Gefährten eine Gasse durch die Gäste, bis sie endlich die Theke erreicht hatten.
Dort saßen die Grobakk-Brüder wie Steine in der Brandung und leerten langsam und schweigend ihre großen Krüge. Aus den Hochrufen war zu entnehmen, daß die drei heute Geburtstag hatten, aber es schien, als würde sie der ganze Trubel nicht im geringsten interessieren.
Dryan ahnte auch warum und teilte seinen Gefährten seine Vermutung mit: „Ihr wißt doch, daß der vierte ziemlich übel ums Leben kam. Ein stilles Gedenken wäre an ihrem gemeinsamen Geburtstag vielleicht angebrachter gewesen."
Will und Telsek verstanden in dem Lärm zwar nur die Hälfte, aber sie kannten die Geschichte der Troll-Vierlinge. Der Krieger ging auf die Brüder zu und schüttelte ihnen der Reihe nach schweigend die Hand, jeweils eine leichte Verbeugung andeutend. Will und Dryan taten es ihm gleich, und obwohl der Elf beim dritten Zudrücken das Gefühl hatte, daß ihm jetzt doch endlich die Finger abfallen würden, schien die stille Geste angekommen zu sein. Einer der Brüder - welcher es war, konnten die Gefährten beim besten Willen nicht unterscheiden - stand auf, murmelte einen Dank und machte ohne Umstände drei Hocker frei, indem er die derzeitigen Besitzer einfach herunterschob.
Ein älterer Elf wollte zu Protest ansetzen, aber ein Blick in das Gesicht des Trolls und auf die beiden anderen, sich langsam von den Hockern erhebenden Brüder, machte ihm die Lage schnell klar. Die Gefährten nahmen dankend Platz und die Grobakks wandten sich wieder ihren Krügen zu.
Nur einen kurzen Moment später tauchte Tylia auf, ebenfalls wie immer schwer beschäftigt. Sie hatte ein hervorragendes Gedächtnis für ihre ständig wechselnden Gäste und außerdem die kleine Szene beobachtet.
So ließ sich die Trollin nicht nehmen, die Freunde selbst zu bedienen.
Ohne nach ihren Wünschen zu fragen, stellte sie eine geschliffene Karaffe und ein feines Glas vor Dryan ab: „Federleichter Elfenwein für den ehrenwerten Magier Kyrendar, Meister der Mystik", dann einen Krug aus heller Keramik, der leicht beschlagen war, vor Will: „Eisgekühltes Felsquellwasser, fast so gut wie Wahres", und zuletzt einen riesigen Deckelhumpen vor Telsek, dem sie freundlich die Haare zauste: „Bestes Trollbier, damit die Hörner endlich nachwachsen."
Erschrocken zuckte sie zurück, als sie den wilden Ausdruck auf dem Gesicht des Kriegers sah.
Telsek hatte zwar sich gleich wieder unter Kontrolle, entschuldigte sich bei Tylia und bedankte sich. Jedoch erst Dryans geflüsterte Erklärung, daß der Troll durch ein finsteres Geheimnis seine Hörner verloren hatte und etwas empfindlich auf Bemerkungen in diese Richtung reagierte, ließ das Mißtrauen aus Tylias Zügen verschwinden.
Als die Wirtin wieder in der lärmenden Menge untergetaucht war, betrachtete der Elf sinnend seinen Freund, der von dem Getuschel nichts gemerkt hatte, weil er finster in seinen Bierkrug starrte. Ein dunkles Geheimnis ... Warum redete Telsek nie darüber? Schließlich waren sie Freunde und vielleicht konnten sie ihm sogar helfen.
Der Abend war jedenfalls gelaufen. Die Verbissenheit des Trolls, die unbeteiligten Gesichter der Geburtstagskinder und das Grölen der Gäste hob nicht gerade die Stimmung der Gefährten, und es war fraglich, ob Torgak, falls er hier war, zu finden und ansprechbar war. Außerdem waren alle drei rechtschaffen müde, so daß sie nach einer kurzen Absprache beschlossen, auf ein Zimmer zu gehen, daß möglichst weit über dem Gastraum lag. Im Stockwerk unter Tylias Privaträumen war sogar noch ein Raum frei, so daß von dem Lärm, der drei Etagen unter ihnen noch bis fast zum Morgengrauen dauerte, kaum etwas bis zu den Gefährten drang.

Eine Stunde nach Sonnenaufgang saßen die Gefährten bei einem rustikalen Frühstück im Gastraum. Tylias Bedienstete waren noch beim Aufräumen, da es bei der Feier zu den ebenso typischen Raufereien gekommen war, deren Schäden sich die Wirtin immer sofort ersetzen ließ. Die recht edel wirkende Taverne mit den Holzvertäfelungen kam auf diese Weise immer wieder zu neuen Mobiliar, was das Niveau über normale Gasthäuser hinaushob.
Tylia war selbstverständlich bereits auf den Beinen, um die Arbeiten zu überwachen. Trotz ihrer Marotte, alles selbst kontrollieren zu müssen, hatte die Wirtin ein paar Minuten Zeit, um sich zu den Gefährten zu setzen und einen Becher Tee zu trinken, wobei sie immer wieder strenge Blicke auf ihr Personal warf.
„Tja, dieser komische Ork war vor ein paar Wochen hier. Wenn Ihr es genau wissen wollt, sehe ich im Gästebuch nach.
He, Zilla, stell den Stuhl gerade hin!
Hat für zehn Tage bezahlt und ist schon nach sechsen wieder verschwunden. Es gab wohl mächtig Ärger mit Vardeghol und Torgak, und mit Hiermon hat er es sich auch verscherzt. Ein eigenartiger Typ. Er wollte nicht in die Ruinen, keine Wetten auf die Falschmenschenkriege abschließen, kein Geld verdienen. Er zog durch die Stadt und redete mit allen möglichen Leuten. Dabei kam es auch zu ein paar schlimmen Schlägereien. Als er erfuhr, daß ich Magierin bin, wollte er irgendwelche Informationen über Heilzauber von mir haben. An dem Abend war er das letzte Mal hier. Er saß ziemlich unglücklich an einem Tisch und trank nur Wasser. Ich hatte ihn auf später vertröstet, weil der Laden voll war und diese ..."
Tylia wies auf die zerknirscht aussehenden Angestellten, die gerade eine schwere Tischplatte fallen lassen hatten.
Dann fuhr sie fort: „ ...können ja nichts alleine hinkriegen. Nun hebt das Ding wieder auf! Vier Mann, vier Ecken, und Urtogh, sieh zu, daß du die Schramme aus dem Parkett polierst.
Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, da setzte sich dann diese Zwergin zu Eurem Freund und sprach ihn an. Keine Ahnung, worum es ging. Er sprang jedenfalls auf wie von einer Egelratte gebissen und zog ihr den Stuhl über den Kopf. Zum Glück haben Zwerge einen harten Schädel, aber in kürzester Zeit gab es eine riesige Prügelei mit einigen Schwerverletzten. Sealak hat dann diesen Kron zum Ausnüchtern in die Zelle gebracht; er mußte ihn fesseln, weil sich wie ein Rasender gebärdete. Ich schätze, Torgak hätte Euren Freund hinrichten lassen, wegen des Verdachts auf ein Dämonenmal, aber am nächsten Morgen war der verschwunden. Er muß gut sein, wenn er es schafft, aus Torgaks Bau auszubrechen. Jedenfalls haben wir ihn seitdem nicht mehr gesehen."
Mit einem kurzen Gruß wandte sich die Trollin wieder ihren Geschäften zu und ließ die Gefährten sehr nachdenklich zurück.
„Das sieht Kron gar nicht ähnlich. Ich glaube, er ist der beherrschteste Ork, den ich je kennengelernt habe."
Will wurde leiser: „Oder vielleicht war er es ..."
Dryan rührte versonnen und unglücklich in seinem Tee.
„Es ist doch möglich, daß Torgak mit seinem Verdacht recht hatte, ein Dämonenmal kann solche Auswirkungen haben. Oder ein Hirnwühler - denkt an Kaliyas Eltern. Wenn Kron wirklich mit einem Dämon in Bunde ist, können wir ihm kaum noch helfen, schon weil so viel Zeit vergangen ist. Es ist ..."
Mit der Faust auf den Tisch schlagend sprang Telsek auf.
„Ihr redet, als wäre Kron schon tot. Oder verloren. Er hat uns um Hilfe gebeten. Ich will nicht ..."
Der Troll stockte, dann setzte er sich wieder hin und sah zu Boden.
„Ich mag ihn einfach. Deshalb glaube ich nicht, daß ihm nicht mehr zu helfen ist."
Entschlossen sah er zu seinen Gefährten auf.
„Wir müssen mit ein paar Leuten reden. Und dann machen wir uns auf die Suche."
Will und Dryan nickten. Bevor sie etwas Genaueres wußten, mußten sie nicht alle Hoffnung aufgeben. Aber vor allem Dryan gab sich keinerlei Illusion hin. Er hatte schon zu viele Male erlebt, was mit Leuten geschah, die von Dämonen berührt worden waren. Und ein Fall wie der von Kaliya war die absolute Ausnahme. Und dennoch: Kron war zwar sehr unnahbar gewesen, aber doch ein Freund. Und ein nicht zu unterschätzender Partner im Kampf gegen Thera, auch wenn das niemals laut ausgesprochen werden durfte.

Bald darauf waren die Gefährten unterwegs. Will ging zu Brenula und Hiermon, Telsek würde mit seiner geradlinigen Art bei Torgak Erkundigungen einziehen und Dryan das heikle und nicht ganz billige Gespräch mit der raffinierten Vardeghol führen. Gegen Mittag wollten sie sich wieder im Ruhelosen Troll treffen. Mit einem gegenseitigen Schulterklopfen zur Ermutigung trennten sich die Freunde.

Telsek war als erster wieder da und ließ sich ein Bier kommen, während er wartete. Sein Gesicht wirkte düster und gequält, und er sah nicht zu Will und Dryan auf, als sie kurz nacheinander in den Gastraum des Ruhelosen Trolls, der wieder wie neu war, traten. Der Obsidianer setzte sich zu ihm, während Dryan einen Krug Wasser und ein paar Becher bei der jungen Menschenfrau Zilla bestellte. Dann kam er ebenfalls zum Tisch und nahm Platz. Wills Miene zeigte wie so oft keine Regung, aber Dryans Enttäuschung war ebenfalls deutlich zu erkennen.
Der Elementarist begann zu sprechen, als er merkte, daß seine Freunde nichts außer finsteren Blicken zu bieten hatten.
„Kron war vor ziemlich genau drei Wochen bei Hiermon. Brenula sagte, daß er einen sehr guten Eindruck bei ihr machte und sogar ein bißchen mit ihr geflirtet hat, allerdings etwas distanziert."
Diese Bemerkung brachte Telsek und Dryan zwar nicht zum Lächeln, wie Will gehofft hatte, aber die beiden nickten. So kannten sie Kron, freundlich und vorsichtig, wenn er auf der Suche nach wichtigen Informationen war. Und es war bestimmt nicht einfach, der mißtrauischen Orkschmiedin zu schmeicheln.
„Dann ist er zu Hiermon hochgegangen. Der erste Besuch war kurz und harmlos. Am nächsten Tag kam Kron jedoch wieder und randalierte so, daß Brenula Mühe hatte, ihn hinauszuwerfen. Sie sagte, er machte den Eindruck, als wäre er ausgetauscht worden.
Die Beschreibung, die Hiermon von seinem Besucher gegeben hat, ist auch nicht hoffnungsvoller. Kron hat dem alten Zauberer eine Menge Geld geboten, wenn er ihm ein Artefakt beschafft, daß gegen Wahnsinn hilft. Hiermon versprach, sich zu erkundigen und bestellte ihn für den nächsten Tag wieder. Kron kam auch pünktlich, aber fragte nicht einmal nach dem Artefakt, sondern ging auf Hiermon los. Selbst ein Schlafzauber bewirkte nichts, und nur weil Brenula den Lärm gehört hatte, wurde kein allzu großer Schaden angerichtet. Auf der Straße brüllte Kron dann noch kurz herum, allerdings nichts Verständliches und zog dann schwankend ab."
Nichts in dem sachlichen Bericht ließ auf Wills Gefühle schließen.
Telsek seufzte tief und nahm einen Schluck aus seinem Krug.
Dann begann er mit leiser Stimme zu sprechen: „Torgak hat mich fast rausgeschmissen. Er ist stinksauer auf Kron. Vor allem wegen der Flucht. Ansonsten war Kron wohl bei ihm und sie haben festgestellt, daß sie gemeinsame Bekannte haben, nämlich uns. Darauf haben sie dann einen getrunken und Kron hat ein bißchen randaliert. War wohl zuerst recht harmlos. Dann hat Kron die Nachricht geschrieben und Torgak gebeten, sie zu verteilen. Hat wohl gut bezahlt dafür, aber der alte Troll wollte nichts Konkretes sagen. Jedenfalls machte Kron einen ziemlich verzweifelten Eindruck und hat dauernd nach guten Heilern gefragt. Torgak hat ihm einige Namen genannt. Dann muß Kron einen riesigen Auftritt bei Vardeghol gehabt haben, was ihm Torgak ziemlich übelgenommen hat. Am nächsten Tag ist die Geschichte passiert, die Tylia erzählt hat. Seitdem ist er verschwunden."
Nach einem weiteren großen Schluck grinste Telsek schief.
„Torgak nimmt wirklich ein Dämonenmal an, und wißt ihr, was ihn davon überzeugt hat? Daß Kron geschafft hat, das Schloß seiner Zelle zu knacken und das Haus zu verlassen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Bis dahin hätte er sich wahrscheinlich noch rauswinden können. Frieden und Ordnung, ha!"
„Krons Fähigkeiten als Meisterdieb wären aber durch ein Dämonenmal eher geringer geworden", warf Will ein.
„Das ist für den alten Häuptling aber kein Argument, denke ich", erwiderte Dryan. „Telsek hat schon recht. Frieden und Ordnung in seiner Stadt und nach seinen Maßstäben, auch mitunter auf Kosten der Gerechtigkeit. Und wenn es nicht gerade Kron beträfe, würden wir ihm meistens zustimmen. Bisher sind wir mit Torgak ganz gut ausgekommen, und wenn ich auch nicht alles gutheiße, was er macht, mag ich den alten Halunken und Halsabschneider."
Der Elf nahm einen Schluck Wasser und wurde wieder ernsthaft.
„Bei Vardeghol habe ich eine kleine Spur gefunden. Kron hat versucht, bei ihr Informationen zu kaufen, bevor er ihr den halben Laden zerlegt hat. Es hat uns einiges gekostet, bis sie damit rausrückte. Ich will euch nicht die ganze Litanei, ihre Schadensersatzforderungen und die Empfehlungen zur Auswahl unserer Freunde wiederholen.
Kron hat etwas von einem Artefakt erzählt, das ihm von jemandem empfohlen worden war und gegen Besessenheit oder Dämonen helfen soll. So genau wußte er wohl selbst nicht, was er wollte. Dann wollte er Karten von den Kleinen und den westlichen Katakomben kaufen, wo dieses Artefakt vielleicht zu finden sein soll. Bevor Vardeghol sie ihm allerdings aushändigen konnte, verlor er völlig die Kontrolle, als sie das Geld haben wollte.
Die alte Dame verstand seine Reaktion überhaupt nicht, zumal der Preis schon vorher feststand und Kron einverstanden gewesen war. Die Grobakk-Brüder haben ihn dann nicht gerade sanft auf die Straße gesetzt und ihm empfohlen, die Kartenwand zu benutzen, wenn er sich Vardeghols Preise nicht leisten kann."
Hoffnungsvoll und grimmig zugleich sah Telsek seine Gefährten an.
„Wo fangen wir an, in den Kleinen oder in den Katakomben?"



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