1. Kapitel


Mal wieder ein Botengang …





Charboyya hatte eingeladen. Überschwenglich hatte der Zwergenhändler Dryan, Will und Telsek begrüßt, nachdem die drei sein Heimatdorf Hanto von der scheinbaren Dämonenverseuchung und der Grimmigen Armee befreit hatten. Will hatte eine Handvoll Briefe für Charboyya im Rucksack und bei einem guten Abendessen im „Jonglierenden Finsterrochen" konnte alles, was geschehen war, ausgiebig berichtet und besprochen werden.
Das Essen war hervorragend. Charboyya hatte dem Koch einen Extraverdienst in Aussicht gestellt und der Wirt Hirnbeißer kannte der Zwerg gut genug, um den vieren eine besondere Bedienung zukommen zu lassen. Außerdem war auch der alte Troll an dem Bericht interessiert. In seinem Gasthaus trafen sich immer wieder Helden aus allen Teilen des Landes und Hirnbeißer mochte es, die neuesten Geschichten von den Abenteuern zu hören, an denen er selber nicht mehr teilnehmen konnte - auch wenn er ganz genau wußte, daß mindestes zwei Drittel der berichteten großen Heldentaten pure Erfindung oder maßlose Übertreibung waren.
Diesmal klangen die Erzählungen seiner Gäste jedoch halbwegs glaubhaft und die Freude des sonst nicht gerade vertrauensseligen Charboyyas über die Nachrichten aus seinem Dorf überzeugte ihn endgültig. Hirnbeißer instruierte seine Kellner und kümmerte sich persönlich um diese speziellen Gäste, um ja nichts von der Geschichte zu verpassen.
Die Kerzen auf dem Tisch waren fast heruntergebrannt, als Dryan endlich alle Fragen von Charboyya und Hirnbeißer beantwortet hatte. Der Elf konnte am besten reden, so daß er trotz hilfesuchender Seitenblicke an seine Gefährten mal wieder derjenige war, der die Neugier seiner Zuhörer befriedigen mußte. Manchmal bereute Dryan seine rhetorische Ausbildung, weil er jedesmal zum Sprechen aufgefordert wurde, wenn es ernst wurde. Dabei verabscheute er es zu prahlen oder jemandem nach dem Munde zu reden. Seufzend hob er sein Glas Wein und genoß das aufkommende Schweigen an ihrem Tisch. Telsek prostete ihm mit seinem Bierkrug zu und grinste. Seine spitzen Eckzähne blitzten auf, als er dem Magier zublinzelte und fragte: „Wolltest du nicht noch etwas von der schönen Landschaft erzählen?"
Bevor Dryan aufspringen konnte, legte ihm Will die schwere Hand auf den Arm und lächelte ihn an. Dann konnten die drei nicht mehr an sich halten. Die Spannung der vergangenen Wochen fiel in einem brüllenden Lachen von ihnen ab und Will prustete mit Tränen in den Augen: „Diese wundervollen Gräser... jeder Halm... so schön gleich grün... am achten Tag haben wir dann... sogar mal einen Felsen gesehen... der anders aussah als der... am dritten Tag... Wahnsinn!"
Hirnbeißer und Charboyya sahen etwas irritiert auf die drei Abenteurer. Dieser Heiterkeitsausbruch kam so plötzlich, daß die übrigen Gäste im „Finsterrochen" sich zu ihrem Tisch herumdrehten. Diese Adepten hatten bisher so vernünftig gewirkt und jetzt das... Der ernsthafte, schwarzgewandete Elfenmagier, der sich kichernd auf die Schenkel schlug, der ruhige und besonnene Obsidianer, der sich schüttelte und Tränen in den Augen hatte und der wortkarge, nachdenkliche Trollkrieger, der gluckste wie ein kleines Kind - solch einen Anblick war man selbst in dieser rauhen Taverne nicht gewohnt.
Langsam beruhigten sich die drei wieder. Die Gespräche an den anderen Tischen wurden wieder aufgenommen und Will entschuldigte sich bei seinem Gastgeber: „Du mußt verstehen, diese eintönige Landschaft und die ständig lauernde Gefahr... Seit wir zwei unserer Gefährten beim letzten Auftrag verloren haben, liegen unsere Nerven ziemlich blank. Vielleicht kommen wir jetzt ein wenig zur Ruhe.
Wir danken dir für deine Gastfreundschaft, aber ich denke, für heute ist es genug. Wenn uns Hirnbeißer unser Zimmer zeigen würde..." Mit diesen Worten neigte er höflich den Kopf in Richtung des Wirtes. Der alte Troll schob seinen Stuhl zurück.
In diesem Moment öffnete sich die Tür der Taverne. Späte Gäste im „Jonglierenden Finsterrochen" waren keine Seltenheit und doch verstummten wie auf ein Zeichen die Gespräche an den Tischen. Ein kalter Windstoß war mit dem Ankömmling in den Gastraum gekommen und die Flammen der Kerzen auf den Tischen flackerten. Selbst nachdem die Tür geschlossen war, schien es so, als würde das Licht nicht mehr so hell sein wie vorher.
Der Fremde schritt wie ein böser Traum durch den Gastraum. Zielstrebig bewegte er sich an den groben Tischen und Bänken vorbei. Er trug einen langen dunkelgrauen Umhang, der staubig wirkte, und hatte sein Gesicht unter der Kapuze verborgen. Einige der nüchterneren Gäste spürten eine von ihm ausgehende Kälte, wandten sich dann aber wieder ihren Krügen zu und nahmen die unterbrochene Unterhaltung wieder auf. Hier tauchten immer mal wieder merkwürdige Gestalten auf, warum sollten sie sich Gedanken machen. Und wenn es Ärger gab, konnten sie immer noch aufstehen - Hirnbeißer war so manche Prügelei in seinem Haus gewohnt.
Die dunkle Gestalt blieb vor dem hintersten Tisch stehen, dem Tisch für besondere Gäste und betrachtete prüfend die Sitzenden. Hirnbeißer war neben seinem Stuhl stehen geblieben; er war lange genug Wirt in einer Taverne, in der sich harte Männer trafen, um aufziehenden Ärger zu spüren. Charboyya blickte fragend zu dem ihm weit überragenden Fremden auf und Telsek griff unauffällig nach seiner Axt.
Diese Axt hatte einem anderen Trollkrieger, Lorm, gehört, der beim Kampf gegen einen Dämon das Leben verloren hatte. Ein Freund von Lorm hatte sie aus dem Kaer Jalendale retten können und sie fünf jungen Abenteurern geschenkt, die sich nur zufällig zur gleichen Zeit in der gleichen Taverne befunden hatten. Auf diese Weise wurde die Gruppe zusammengebracht. Und irgendwie schienen sie seit diesem Zeitpunkt von Abenteuern verfolgt zu werden. Wie im Augenblick...
Der Besucher hatte seine Musterung beendet. Will fiel auf, daß man seine Augen nicht sehen konnte und trotzdem den Blick genau spürte. Besonders gründlich schien er Charboyya untersucht zu haben.
„Ich habe einen Auftrag für Will Rhones, Dryan Kyrendar und Telsek. Ein Gegenstand ist in die Scytha-Berge zu bringen." Die Stimme des Fremden ließ den Zuhörern einen Schauer über den Rücken laufen. Sie war tief und gleichzeitig so sachlich und kalt, als käme sie aus einem Eisberg. Es schien kein Gefühl in ihr zu sein. „Der Empfänger zahlt bei Erhalt eintausend Silberstücke. Nehmt Ihr den Auftrag an?"
Dryan stand auf. Seine melodische Sprache bildete einen krassen Gegensatz zu den Worten des Fremden. „Bevor wir den Auftrag annehmen oder ablehnen, müßten wir etwas genauer informiert werden. Wo genau soll der Gegenstand hingebracht werden? Worum handelt es sich? Gibt es einen bestimmten Termin? Ist es gefährlich, in diese Richtung..."
Mir einer Handbewegung, die nichts weiter von ihm erkennen ließ als einen langen Ärmel, schnitt der Fremde die Fragen ab. Es klang mechanisch, als er erwiderte: „Auf halber Höhe der Scytha-Berge befindet sich ein kleines Dorf. Der dortige Magier erwartet die Lieferung. Wenn Ihr innerhalb von zwanzig Tagen den Vertrag erfüllt, zahlt er jedem von Euch eintausend Silberstücke. Als Anzahlung erhaltet Ihr dreihundert Silberstücke. Es besteht keine Gefahr. Nehmt Ihr den Auftrag an?" Der Fremde stand da und wartete scheinbar völlig bewegungslos.
Telsek, Dryan und Will schauten sich gegenseitig an. Tausend Silberstücke... Für jeden... Will dachte an den magischen Ring, den er fertigstellen wollte, das Material und die Werkzeuge, die er dazu brauchte. Dryan fielen all die Bücher ein, die er noch kaufen mußte, wenn er sie studieren wollte - und die Reparaturkosten für das Buch der blauen Geister. Telsek hätte endlich genug Geld, den Lehrmeister zu bezahlen, der ihn zum Tiermeister ausbildete... Ein verlockendes Angebot.
Die drei kannten sich lange genug, um zu wissen, was die anderen jeweils wünschten. Telsek sprach als erster: „Klingt gut. Wir werden den Auftrag annehmen. Laßt uns die Einzelheiten..."
Aber auch ihn ließ der Fremde nicht aussprechen. Er stellte ein in ein graues Tuch eingewickeltes Paket und einen kleinen Beutel auf den Tisch, drehte sich um und verließ die Taverne.
Wie angewurzelt starrten die Freunde auf das Bündel. Erst als Charboyya das Wort ergriff, wich die Starre von ihnen. „Sagt mal, kanntet ihr den? Dieser... Typ war ja richtig unheimlich. Ich möchte lieber nicht wissen, was in dem Bündel ist."
„Mach dir keine Gedanken, mein Freund", sagte Dryan. „Wir haben schon oft sehr merkwürdige Auftraggeber gehabt. Verzeih' uns, aber ich glaube, wir sollten uns doch langsam verabschieden. So wie es aussieht, müssen wir morgen früh aufbrechen. Gute Nacht, Charboyya, und noch einmal vielen Dank."
Hirnbeißer nahm eine Kerze vom Tisch und übernahm die Führung zum Zimmer der drei. Er sagte nichts - die Rechnung war bezahlt und jeder seiner Gäste mußte selber wissen, was er tat. Und doch - wenn er vor Jahren, als er noch im Abenteurergeschäft war, einen solchen Auftrag erhalten hätte, hätte er abgelehnt - oder sehr lange darüber nachgedacht.

Inzwischen war es fast Mitternacht. Hirnbeißer hatte ihnen eines seiner besten Zimmer zugewiesen und ihr Gepäck schon vor dem Essen hinaufbringen lassen. Der Raum war zwar klein und niedrig, aber sauber. Die Betten schienen bequem zu sein und die Vorteile einer abschließbaren Tür hatten die Abenteurer im Laufe ihrer Reisen zu schätzen gelernt.
Will legte das Bündel auf den kleinen Tisch neben die Kerze. Im Schein der kleinen Flamme wirkte der Stoff, als wäre er so staubig, daß seine wirkliche Farbe nicht mehr erkennbar war. Es schien das gleiche Material zu sein, aus dem der Mantel ihres geheimnisvollen Auftraggebers bestanden hatte.
„Wir sollten uns das Paket etwas näher ansehen", meinte Dryan. „Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Oder wollen wir den Auftrag doch lieber lassen?" Fragend sah er zu Will und Telsek hoch, die ihn beinahe um Kopfeslänge überragten.
Seine Gefährten antworteten nicht gleich. „Weiß nicht", brummte der Troll. „Das Geld könnten wir gut brauchen. Aber das Ding da - du hast recht. Scheint gefährlich zu sein." Will nickte. „Ich habe das Bündel getragen. Es ist verdammt schwer und eiskalt, auch durch den Stoff hindurch. Und ich bin mir nicht sicher - als ich es anhob, schien es immer schwerer zu werden."
Der Elementarist beugte sich herab und befühlte den Stoff. „Das Zeug ist auch eigenartig. Es sieht nicht aus wie Straßenstaub, eher als hätte es... Jahrhunderte lang in einer Gruft gelegen. Und das ist auch kein Staub, das Gewebe selbst hat so eine eigenartige Struktur. Ich habe keine Lust, das aufzumachen."
Dryan hockte sich auf den Boden, schloß die Augen und konzentrierte sich. Ein vorsichtiger Blick in den Astralraum in der Umgebung des Bündels müßte wenigstens einige Fragen beantworten... Erschrocken riß er die Augen wieder auf.
Seine Gefährten sahen ihn abwartend an. Die Umstellung auf die physische Welt dauerte immer einen Moment. Telsek hatte sich inzwischen auf sein Bett gesetzt und die Stiefel ausgezogen, Will stand immer noch neben dem Tischchen.
„So etwas habe ich noch nie gesehen", sagte der Magier schließlich. „Keine Gefahr, keine Fäden, keine Verbindungen, nichts."
„Na, ist doch prima. Dann kann uns ja nichts passieren."
„Da wäre ich mir nicht so sicher, Telsek. Astral gesehen steht auf dem Tisch nichts, absolut nichts. Das... Ding da... existiert überhaupt nicht. Wenn man es ganz genau nimmt, ist an dieser Stelle ein Loch im Astralraum."
Telsek zog die Brauen hoch. „Mir reicht's. Ein eingewickeltes Loch gibt's doch gar nicht." Er stand auf und trat zu dem Tischchen. Bevor Will ihn daran hindern konnte, holte er einmal tief Luft und schlug das Tuch zur Seite.
Unter dem grauen Tuch kam ein schwarzes Kästchen zum Vorschein. Es schien aus Stein zu sein, völlig glatt und schmucklos. Eigenartigerweise spiegelte sich das Licht der Kerze nicht in der polierten Oberfläche, die sich langsam mit einer dünnen weißen Reifschicht überzog.
Will berührte vorsichtig die Oberseite und schrie leise auf. Seine Fingerspitzen froren sofort fest und beim Losreißen blieben Fetzen seiner Haut kleben. Geistesgegenwärtig warf ihm Dryan sein Taschentuch zu, das sich der Obsidianer um seine schmerzenden Finger wickelte. „Was ist das bloß für eine verdammte Kiste!", fluchte er. „Das Ding ist ja kälter als ein Schneesturm auf dem Klauengipfel!"
Dryan betrachtete den schwarzen Quader von allen Seiten und hütete sich, das Kästchen zu berühren - falls es überhaupt eins war. Zwei Hände lang, eine hoch und eine breit. Es schien keine Möglichkeit zu geben, es zu öffnen. Kein Zeichen war zu erkennen, keine Öffnung und kein Schloß, nicht einmal einen Spalt an irgendeiner Seite, soweit er es unter dem immer dicker werdenden Reif erkennen konnte. Aber auch nichts Bedrohliches außer der Tatsache, daß das Kästchen Licht und Wärme aus der Umgebung aufnahm. Der Elf schlug das Tuch wieder zu. „Vielleicht hat da jemand ein schwarzes Loch verpackt. Solange wir das Kästchen nicht anfassen oder öffnen, kann wohl nicht viel passieren."
„Was soll's", sagte Will, dessen Schmerz langsam nachließ. „Wir haben nichts Besseres zu tun und die Vergütung ist wirklich nicht schlecht. Laßt uns ins Bett gehen und morgen - nein, heute früh aufbrechen. Hat jemand Einwände?"
Telsek schüttelte den Kopf und gähnte.
„Dann geht es also bei Sonnenaufgang auf nach Norden", bestätigte Dryan. „Und das Paket stecke ich in den magischen Beutel, da wiegt es nichts und keiner muß es anfassen. Gute Nacht erst mal."
Zehn Minuten später schliefen sie tief und fest und erinnerten sich später glücklicherweise nicht an ihre Träume.



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