5. Kapitel


In die Berge




Zweieinhalb Stunden später hatten die Freunde den südwestlichen Rand der Berge erreicht. Der Faden, der sie geführt hatte, war immer stärker geworden, die kleinen Flammen, aus denen er bestand, wirkten kräftiger und wütender. Will wagte eine letzte Astralsicht und zog sich sofort wieder zurück.
„Es wird langsam zu gefährlich, den Faden direkt zu verfolgen", erklärte er seinen Freunden. „Wir sind dem Dämon so nahe, daß er uns wahrscheinlich das nächste Mal aufspürt und direkt im Astralraum angreift. Und dann haben wir keine Chance. Er wird anhand des Fadens sowieso wissen, daß zumindest Asami näherkommt."
„Sollen wir sie hier verstecken und allein weitergehen?" fragte Telsek.
„Ich fürchte, dafür ist es zu spät. Außerdem wissen wir nicht, wie sie reagiert, wenn sie zu sich kommt. Sie ist mindestens im siebten Kreis und ich glaube, daß sie durch das Mal zunächst noch stärker geworden ist. Ich möchte sie nicht in meinem Rücken haben", antwortete der Obsidianer, der die Frau im Moment trug.
Als hätte sie auf das Stichwort gewartet, begann sich die junge Elfin zu regen. Sie wand sich kurz, dann schnellte sie wie ein Fisch auf dem Trockenen so heftig herum, daß Will sie nicht festhalten konnte. Sie stürzte zu Boden, war aber trotz der Fesseln sofort wieder auf den Beinen. Mit unglaublicher Kraft bäumte sich ihr zierlicher Körper gegen das Seil. Telsek sprang dazu und hielt sie fest, aber selbst die Kraft des Trolls reichte nur knapp. Als Asami spürte, daß sie sich nicht aus den Fesseln und dem Griff des Kriegers befreien konnte, wurde sie ruhiger.
Zuerst nahmen die drei an, daß sich die Frau mit ihrem Schicksal abgefunden hatte. Doch dann spuckte Asami den zerbissenen Knebel aus und begann auf sie einzureden. Erst schmeichelte und bettelte sie mit ihrer sanftesten Stimme. Als keiner darauf reagierte, fing die Elfin an, die Abenteurer zu beschimpfen und zu bedrohen. Nahezu fassungslos starrten die Zauberkünstler sie an. Telsek, der immer noch hinter ihr stand, hörte nur ihre Stimme, die sich wie ihr Gesicht immer stärker verzerrte, in ein Heulen überging, das ihnen fast die Trommelfelle zerriß. Schließlich schrie sie in unglaublicher Lautstärke harte Worte in einer fremden Sprache heraus.
Telsek, der befürchtete, daß sie auch ohne Zuhilfenahme der Hände eine Beschwörung aussprechen könnte, versetzte ihr einen Faustschlag gegen die Schläfe. Asami sackte wieder zusammen, dabei entspannte sich ihr Gesicht.
„Das war nicht nötig", tadelte Dryan den Troll. Der zuckte die Schultern.
„Ihr habt sie vielleicht verstanden, aber ich habe keine Ahnung, was sie da gesagt hat. Das war mir zu gefährlich. Außerdem", er zeigte auf die Stellen, wo sich das Seil blutig in ihre Handgelenke geschnürt hatte, „sie hätte sich selber schwer verletzt, wenn sie weitergemacht hätte."
Will gab dem Krieger recht. „Sie hat durch den Dämon unglaubliche Kräfte. Es ist ein Fehler, wenn wir zu viel Rücksicht nehmen, weil sie eine Frau ist. Sie ist verdammt gefährlich."
„Ihr habt ja recht. Vielleicht ist es besser, wenn wir sie nicht zu Bewußtsein kommen lassen, bis die Sache geklärt ist." Es fiel Dryan sichtlich schwer, das zu sagen. Er war eben durch und durch Kavalier.
„Laßt uns weitergehen. Du weißt, in welche Richtung?" wandte er sich an Will.
Der Obsidianer erklärte seinen Gefährten, was seine letzte Astralsicht gezeigt hatte. „Der Faden führt in nordöstliche Richtung. Wir können nicht direkt auf seinen Ursprung zugehen, da sind ein paar Berge im Weg. Am besten ist es", er wies auf das vor ihnen aufragende Gebirge, „wir gehen weiter am Rand entlang. Da vorn ist ein Einschnitt, der nach Osten in die Berge hineinführt. Wenn wir diesen Weg nehmen, müßten wir ziemlich dicht an den Gipfel kommen, von dem der Faden ausgeht, ohne viel klettern zu müssen. Wenn wir Glück haben, sind wir vor Sonnenuntergang am Ziel."
Was sie an diesem Ziel erwartete, sprach Will jedoch nicht aus. Seine Gefährten wußten auch so, was er meinte: Vielleicht waren sie bei Einbruch der Nacht nicht mehr am Leben.

Wie Will gesagt hatte, zog sich der Einschnitt tief in in das Gebirge. Zwischen den schroff aufragenden Bergen stieg das Gelände relativ sanft an. Der Gipfel, auf den die Gefährten zuhielten, lag in vollem Sonnenlicht; er stand wie ein einzelner verwitterter Zahn steil und grau zwischen den runderen und etwas niedrigeren Erhebungen in seiner Nachbarschaft. Telsek war im Stillen froh darüber, daß das nicht der höchste Berg des Gebirges war. Er war im Klettern wirklich etwas ungeschickt und haßte es, ständig auf die Magie der beiden anderen angewiesen zu sein.
Im Laufe des Nachmittags wurde das Gelände immer schwieriger. Felsbrocken versperrten den Weg, der immer steiler wurde. Telsek und Will wechselten sich beim Tragen von Asami ab, die von Dryan immer wieder mit einem Schlafzauber belegt wurde.
Die Gefährten stellten fest, daß sie sich auf einer Art Pfad bewegten. Irgendwann mußte hier jemand gelebt haben, der Steine beiseite geschafft und Löcher mit Schutt aufgefüllt hatte. An einigen Stellen war jedoch auch zu sehen, daß das sehr lange her war. Kleine Erdrutsche hatten Teilstücke der Weges verschüttet, einige große Felsstücke waren von einem Berg gerollt und mußten mühevoll überstiegen werden.
Trotzdem war der Pfad vor nicht allzu langer Zeit begangen worden. Will entdeckte als erster die Spuren, die in das Gebirge hineinführten. Rasch machte er seine Gefährten darauf aufmerksam. Aber keiner von ihnen war in der Lage, zu erkennen, wer oder was den Weg vor ihnen benutzt hatte. Die Abdrücke waren schwach und verwischt, es war nicht eindeutig zu sagen, ob sie in ihre Richtung oder entgegengesetzt führten. Aber es waren auf jeden Fall mehrere zweibeinige Wesen gewesen, die dort entlang gegangen waren. Die Gefährten wurden noch vorsichtiger beim Weitergehen.
Die Schatten waren inzwischen lang geworden. Hinter ihnen näherte sich die Sonne unaufhaltsam dem Horizont, in einer Stunde würde es dunkel sein. Die Gefährten wollten jedoch keine Nachtrast mehr halten, so dicht bei einem Dämon. Also beeilten sie sich, den Berg zu erreichen, der inzwischen in fast greifbarer Nähe vor ihnen aufragte.
Will, der wieder vorneweg lief, brachte die Gruppe mit einer Handbewegung zum Stehen. Sie hatten den Rand einer Schlucht erreicht. Schroff fielen ihre Felswände in die Tiefe. Auf der anderen Seite erhob sich der Berg, der ihr Ziel war.
Telsek legte Asami behutsam ab und untersuchte die Spuren, die in der feuchten Erde zu erkennen waren. Sie endeten ein paar Schritte vor der Steinkante und es war immer noch nicht zu erkennen, ob sie dort ihren Ursprung nahmen oder abbrachen. Der Troll erhob sich und klopfte sich den Schmutz von den Knien.
„Keine Ahnung, wer oder was hier langgegangen ist. Aber es ist auf jeden Fall nach dem Regen gewesen. Die werden sich wohl kaum von hier aus in die Schlucht gestürzt haben und zum Drüberspringen ist es zu weit. Also Magie." Will und Dryan stimmten ihm zu.
„Ich habe so ein Gefühl, daß auf der anderen Seite jemand auf uns wartet - außer dem Dämon." Dryan konnte sein leichtes Frösteln nicht verbergen. „Wir sollten uns vorbereiten."
Als erstes beschwor Will einen schwebenden Thron. In der Mitte der Felsspalte hielt er an und sah in die Tiefe. Glücklicherweise litt der Obsidianer nicht an Höhenangst - die Schlucht ragte so tief in die Wurzeln des Gebirges, daß ihr Grund in immerwährender Dunkelheit lag. Irgendwo dort unten mußte Wasser fließen; einige feine Nebelstreifen stiegen auf, lösten sich jedoch noch unterhalb des Felsenrandes auf.
Will nahm den Rest ihres Seiles, wickelte es sich um den Unterarm und warf das andere Ende seinen Gefährten zu. Als erster schwang sich Telsek über den Abgrund. Dryan mußte den hervorragenden Sprungfähigkeiten des Trolls nur mit einem leichten Levitationszauber nachhelfen und der Krieger landete sicher auf der anderen Seite der Schlucht. Dann warf er das Seil zurück zu Dryan. Dieser überquerte den Spalt ebenfalls mit Leichtigkeit, konnte jedoch ein leichtes Schwindelgefühl nicht unterdrücken, als er während des Schwungs in die Tiefe blickte. Dann landete Will mit seinem luftigen Sitz neben seinen Gefährten und rollte das Seil ein.
Endlich hatten sie wieder festen Boden unter den Füßen. Vielleicht hundert Schritte vor den Abenteurern ragte der Berg steil in die Höhe, der Pfad führte über ein Plateau und endete wie abgeschnitten an einer senkrechten Felswand.
Dryans Vermutung bewahrheitete sich: Die Gruppe wurde erwartet. Ohne die geringste Vorwarnung und in gespenstischer Stille tauchten zwischen den Felsen und Steinen, die das Plateau begrenzten, dunkle Gestalten auf, die die drei schnell in einem engen Kreis umschlossen. Der Geruch nach verwesendem Fleisch, der von ihnen ausging, erregte Übelkeit - ein Dutzend Ghule hatten sie umstellt und schienen nur auf ein Zeichen zu warten, um sich auf sie zu stürzen. Will legte Asami unter einen überhängenden Felsen, in der Hoffnung, sie vor den Angreifern beschützen zu können, wenn er neben ihr stehen blieb. Aber die Ghule beachteten die Frau überhaupt nicht.
Mit gefletschten Zähnen und ausgestreckten Klauen griffen die Untoten nahezu gleichzeitig von allen Seiten an. Allerdings wirkten ihre Bewegungen unbeholfen und ungeschickt - das Licht der tiefstehenden Sonne machte ihnen schwer zu schaffen.
Diese nachtaktiven Wesen vermieden es sonst, bei Tag anzugreifen, aber diese Gruppe handelte offensichtlich nicht in eigenem Namen. Die gelb glühenden Augen zusammengekniffen, umkreisten die Ghule die Gefährten und schlugen nach deren Gesichtern, um sofort wieder zurückzuweichen. Schnell wurde klar, was sie vorhatten - mit einem raschen Treffer ihr Gift zu verabreichen und dann wieder zu verschwinden. Da das Kakofain nur wirken konnte, solange der Ghul, der es abgegeben hatte, lebte, mußten die Geschöpfe schnell sein, um mit dieser Taktik Erfolg zu haben. Aber sie waren nicht schnell genug.
Telsek wehrte mit einem geschickten Axtschwung drei Ghule ab, die schwer verwundet zu Boden gingen. Dabei wurde er jedoch von den Klauen eines vierten am Unterarm getroffen. Ein langer Riß klaffte in der grauen Haut des Trolls und lähmender Schmerz begann sich hinauf zu seiner Schulter zu ziehen. Der Untote wich sofort zurück und wollte wieder zwischen den Felsen verschwinden. Doch er hatte nicht mit der Reaktionsgeschwindigkeit des Trolls gerechnet, der ihm mit einem langen Sprung den Weg abschnitt und ihm kurzerhand den Schädel spaltete. Der Schmerz in Telseks Arm ließ sofort nach und der Krieger sah sich nach dem nächsten Gegner um.
Will und Dryan hatten mittlerweile einige Zauber ausgesprochen. Vier der Angreifer waren von einer Kugel umschlossen, in deren Inneren ein Schneesturm tobte. Ihrem irren Heulen nach zu urteilen, würden sie nicht lange überleben, zumal sie die Orientierung verloren hatten und nicht aus der Kugel herausfanden. Drei weitere Untote lagen bereits verkrümmt und verbrannt auf dem Felsboden, während Dryan die niedergeschlagenen Ghule mit Akarems Stab endgültig ins Jenseits schickte.
Und auch der letzte der Angreifer überlebte nicht, als Telsek und Will gleichzeitig auf ihn einschlugen.
Wer auch immer ihr Feind war, mit diesem Angriff seiner Geschöpfe hatte er die Gefährten nicht schwächen können. Keiner hatte schwere Verletzungen davongetragen. Ein paar Minuten tiefen Durchatmens genügten, dann waren die drei so weit, daß sie die Spuren des Kampfes beseitigen konnten. Ohne darüber zu sprechen, warfen Will und Telsek die Leiber der Ghule in die Schlucht - es dauerte lange, bis sie die Körper auf ihrem Grund dumpf aufschlagen hörten.
Dryan sah inzwischen nach der Elfin. Asamis Zustand war unverändert, die Ghule hatten sich nicht um sie gekümmert. Nur ein verirrter Eissplitter hatte sie am Arm getroffen und ihre Haut geritzt, doch Dryan konnte die harmlose Blutung sofort stoppen. Er gesellte sich wieder zu den anderen, die ihre unangenehme Arbeit inzwischen beendet hatten.

Es war still um Will, Telsek und Dryan. Kein Lüftchen schien sich zu regen. Die Sonne begann, hinter der dunklen Linie, die im Westen den Blutwald markierte, zu versinken. Der Kampf mit den Ghulen konnte nicht alles gewesen sein, was sie hier erwartete, das war den Gefährten klar. Aber nichts rührte sich in der Umgebung, kein Dämon tauchte zwischen den Felsen auf.
Der Berghang lag in rötlichem Licht direkt vor ihnen, der Pfad führte nicht weiter. Wer immer sie hierhergelockt hatte, ließ nichts von sich sehen oder spüren. Und doch lag eine Spannung in der Luft, die fast massiv war.
„Da ist noch irgend etwas", flüsterte Telsek rauh, als würde ein lautes Wort ihren unsichtbaren Widersacher vor ihnen aus dem Fels emporsteigen lassen. Will nickte. Die beiden Zauberkundigen begannen, ebenfalls flüsternd, Kampf- und Schutzzauber auszusprechen. Dann waren die Freunde vorbereitet und es geschah immer noch nichts.
„Ich will nicht mehr warten", sagte Dryan plötzlich mit fester Stimme zu seinen Gefährten. „Wenn der Dämon hier ist, werde ich ihn astral finden. Ich weiß, daß das gefährlich ist", schnitt er Will das Wort ab, der etwas einwenden wollte. „Aber jetzt muß endlich etwas geschehen."
Der Elf biß die Zähne fest zusammen, holte tief Luft und schloß die Augen. Es war ihm bewußt, daß er sich vor dem Dämon jetzt nicht mehr verbergen konnte, wenn dieser ihn im Astralraum erwartete. Nur ein kurzer Augenblick...
Mit einem innerlichen Ruck riß sich Dryan aus dem Astralraum los. „Die Wand!" schrie er seinen Freunden zu und taumelte.
Will und Telsek schnellten herum und wandten sich dem Berg zu, wo sich der Felshang, der den Pfad abgeschnitten hatte, plötzlich in Nichts auflöste. Ein düster-roter Schimmer drang aus der Höhle, die durch die Illusion verborgen gewesen war und näherte sich schnell. Gleichzeitig ertönte ein fauchendes, sich überschlagendes Lachen, das wie ein Orkan über einem ausbrechenden Vulkankrater klang und bei den dreien maßloses Entsetzen hervorrief.
Telsek krümmte sich zusammen und versuchte, sich die Ohren zuzuhalten, um das schreckliche jaulende Lachen, das ihm den Schädel zu zerreißen drohte, nicht mehr hören zu müssen. Erst als er sich Lorms Axt, die er nicht losgelassen hatte, fast an den Kopf schlug, wurde ihm klar, daß er dem Zauber des Dämons zu unterliegen drohte und kämpfte gegen den Schrecken an.
Will ging es nicht besser. Er hatte das Gefühl, daß seine steinerne Haut in Magma getaucht würde und begann, Blasen zu schlagen und zu schmelzen. Der Schmerz wurde immer unerträglicher, bis der Obsidianer einen gequälten Schrei ausstieß. Als hätte ihn dieser Schrei aus einem schrecklichen Traum gerissen, sah an sich hinab und erkannte, daß unverletzt war und der Schmerz nur in seiner Einbildung existierte. Auch ihm gelang es, sich aus dem Entsetzen zu befreien.
Nur Dryan war trotz der großen Anstrengung, die ihn die Rückkehr aus dem Astralraum gekostet hatte, nicht so stark von dem Zauber betroffen. Auch ihn überfiel der Schrecken, aber der Magier wurde durch ein Geräusch hinter ihm abgelenkt. Er wandte sich von der Höhle ab und sah Asami, die wieder bei Bewußtsein war und das Gesicht zu Höhle gewandt auf dem Pfad stand. Sie hatte die Fesseln augenscheinlich zerrissen.
Ihre weit aufgerissenen Augen waren blutunterlaufen und sie schien nichts wahrzunehmen außer dem Glühen im Inneren des Berges. Wieder sprach sie mit unglaublicher Geschwindigkeit in der unverständlichen Sprache, auf den Lippen ein verzerrtes Lächeln. Von ihr schien im Moment keine Gefahr auszugehen, aber sie würde sicher niemanden an sich vorbeilassen, falls sie versuchen sollten, die Schlucht zu erreichen.
Als die Gefährten, immer noch keuchend und zitternd, wieder beieinanderstanden, waren nur einige Sekunden vergangen. Die Bewegung in der Höhle hatte aufgehört und das Lachen war erst einmal verstummt. Der Dämon schien abzuwarten, wie die drei reagierten und würde, das war ihnen klar, sofort wieder zuschlagen, wenn es ihm in den Sinn kam. Er ließ sich Zeit mit seinen Opfern, die ihm nicht entkommen konnten.
„Kommt doch rein und seid meine Gäste!" ertönte eine haßerfüllte Stimme aus der Höhle. „Ich habe euch brennend erwartet." Ein Flammenstoß, der die Gefährten nur knapp verfehlte, begleitete die höhnischen Worte.
„Duaga", krächzte Will kaum hörbar. Seine Freunde sahen ihn entsetzt an.
Sie hatten schon einmal gesehen, was dieser Dämon anrichten konnte. Die verkohlten oder zerrissenen Leichen der Begleiter einer Händlerkarawane, die sie vor Monaten gefunden hatten, die sinnlos zerfleischten Pferde und die Gesichter derer, die nicht sofort tot gewesen waren, quälten sie noch immer manchmal in ihren Alpträumen.
Im Buch der Dämonen, daß sie aus dem Windlingskaer unter dem Klauengipfel geborgen hatten, hatten sie eine genaue Beschreibung Duagas gefunden und waren im Nachhinein froh gewesen, daß sie den Spuren damals nicht gefolgt waren und ihn gestellt hatten. Abgesehen von seiner Beherrschung des Feuers hatte dieser Dämon die Fähigkeiten eines Geisterbeschwörers des zehnten Kreises.
Und sie waren nur noch zu dritt - diese Auseinandersetzung konnten sie nicht überleben. Nach allem, was sie über Duaga wußten, würden sie nicht einmal einen schnellen und gnädigen Tod bekommen.
Doch warum hatte er sich solche Mühe gemacht, sie von Märkteburg bis hierher zu locken?
Fast erstarrt standen die Gefährten vor der Höhle und warteten auf das Unvermeidliche. Der glühende Schein näherte sich wieder, langsam und unerbittlich. Duaga zögerte den Moment, in dem er sich sehen ließ oder noch einmal angriff, genüßlich hinaus.
In diesem Augenblick erinnerte sich Dryan trotz seiner aufkommenden Panik an die Münze, die Halis ihnen gegeben hatte. Es schien Jahrhunderte her zu sein, daß sie den Troll getroffen hatten...
Der Elf zögerte kurz, fragte sich, ob selbst Halis mit seinen Fähigkeiten etwas ausrichten könnte oder ob die Gefährten ihn nicht in den sicheren Untergang lockten. Aber er hatte gesagt, daß sie ihn in größter Not rufen sollten.
Das Auftauchen Duagas aus dem Höhleneingang unterbrach Dryans Gewissensqualen. Im Angesicht des flammenumzüngelten Grinsen des Dämons griff er fast unbewußt in den Ausschnitt des Gewandes und umklammerte das Amulett schmerzhaft.
„Sie ist nicht mehr da, Meister", kreischte hinter den Gefährten eine Stimme, die nichts menschliches mehr hatte. „Sie haben sie einfach verschenkt!"
Asami begann, mit sich überschlagender Stimme eine Beschwörung zu auszusprechen. Duaga unterbrach sie mit einer Handbewegung in ihre Richtung, die sie nicht nur zum Schweigen brachte, sondern sie mehrere Schritt weit gegen einen Felsen schleuderte. Es klang, als würden Knochen brechen, aber die Gefährten wagten nicht, sich umzusehen. Wie gebannt starrten sie auf die hoch aufragende brennende Gestalt vor ihnen.
„Laß das, sie gehören mir!" Duaga starrte die drei mit glühenden Augen an. Sein Gesicht war noch verzerrter, die Flammen auf seiner Haut schienen wütender und greller zu werden. Ein weiterer Flammenstoß traf gezielt die Füße der Gefährten, die nicht ausweichen konnten.
„Auf die Knie, ihr Würmer! Ihr habt mich gekränkt und beleidigt, indem ihr meine Jehuthras getötet habt. Und jetzt habt ihr mir auch noch die Statue vorenthalten, die meinen Triumph krönen sollte. Ihr werdet büßen und ich werde von euren Qualen leben - für lange Zeit!"
Telsek stemmte sich mühsam auf die Füße und holte mit der Axt aus, aber ein Tentakel schlug dem Troll die Waffe, die grell aufglühte, aus der Hand. Der Dämon setzte zu einem Zauber an, als sich plötzlich ein Rauschen aus der Höhe näherte. Duaga unterbrach sich und sah nach oben, auch Will und Dryan wandten die Köpfe.
Vor dem noch hellen Himmel erschien aus südlicher Richtung ein Schatten und der sich rasch vergrößerte. Den Umrissen nach war es - ein Drache, ein Großer Drache.
Mit elegantem Schwung näherte er sich dem Berg. Der Luftzug, den die großen Schwingen verursachten, drückte die Gefährten zu Boden, als der Drache auf dem Plateau landete.
Er war riesig. Seine ausgebreiteten Flügel überspannten das gesamte Plateau und sein Maul war so groß, daß er den Obsidianer mit einem Bissen hätte verschlingen können. Aber der Drache kümmerte sich nicht um die Gefährten. Er verlagerte nur sein Gewicht und schob vorsichtig einen großen Hinterfuß zur Seite, so als wollte er mit seinen scharfen, wie Kristall glänzenden Klauen niemanden der drei verletzen.
Die Schuppen des Drachen schimmerten bläulich weiß und seine Flughäute hatten die Farbe der Gletscher der Klauenberge.
„Eisschwinge", flüsterte Dryan seinen Freunden zu, die sich unter einen überhängenden Felsen duckten. Kein anderer Drache konnte es sein, obwohl keiner der Abenteurer jemals einen so nahe gesehen hatte.
Eisschwinge schlug kurz mit den Flügeln und der entstehende Luftwirbel schleuderte den Dämon in die Höhle zurück.
„Du...", ertönte die Stimme des Drachen, so tief und dröhnend, daß sie die Felsen zum Zittern brachte. Hinter ihm rollten einige Steine polternd in die Schlucht.
Wütend schoß Duaga wieder aus seinem Versteck hervor und griff sofort an. Mit einem riesigen Feuerball versuchte er, die Flügel des Drachen zu zerstören, aber die Flammen prallten wirkungslos ab, umloderten Eisschwinge, ohne ihm etwas anhaben zu können.
Asami sprach währenddessen eine Beschwörung aus, die Dryan jedoch durch einen gezielten Schlag mit Akarems Stab unterbrach. Blut lief der Elfin über das Gesicht, aber in Duagas Nähe schien sich ihre Kraft vervielfacht zu haben. Sie stürzte sich wie eine Furie auf den Magier und schlug dabei Telsek, der sich ihr in den Weg stellen wollte, mit einem kurzen Schlag zu Boden. Erst Will gelang es, sie zu bremsen, indem er einen Steinkäfig zauberte, der die Frau umschloß. Schrill kreischend vor ohnmächtiger Wut rüttelte sie an den Stäben, konnte sich aber nicht befreien.
Mit seinen großen Klauen, scheinbar ohne die Glut zu spüren, griff der Drache indessen nach dem Dämon. Duaga stieß einen letzten, qualvoll-wütenden Schrei aus, dann explodierte er in einem roten Feuerball.
Will und Dryan warfen sich gerade noch rechtzeitig zu Boden, neben Telsek, der sich noch nicht erhoben hatte. Die Glutwelle fauchte über sie hinweg und hinterließ auf ungeschützter Haut schmerzhafte, aber kaum gefährliche Verbrennungen.
Die zerrissenen Überreste des Dämons schwelten noch ein wenig vor sich hin, dann war nur noch ein Häufchen Asche auf dem rußigen Untergrund übrig. Im gleichen Moment ertönte auch aus dem Steinkäfig ein Heulen, das immer leiser wurde und erstarb. Asami hatte den Tod ihres Meisters nicht überlebt.
Telsek, Will und Dryan rappelten sich auf. Nachdem der erste Schock vorüber war, spürten sie den Schmerz an Gesicht und Händen, wo sich langsam Brandblasen bildeten. Besonders schlimm war es allerdings an den Füßen. Der Flammenstoß, der sie vor Duaga auf die Knie gezwungen hatte, hatte das Leder der Stiefel und einen Teil der Haut verbrannt. Stöhnend suchten sie in ihren Rucksäcken nach Verbandszeug und den Resten ihrer Heilsalbe.
Dryan hielt kurz inne und überlegte, ob er nicht lieber dem Drachen danken sollte, bevor er sich um sich selbst kümmerte. Doch dann übermannte der Schmerz seine Höflichkeit und er setzte sich, um seine Füße zu verbinden.
Der Drache hatte sich zu ihnen umgewandt und beobachtete die drei interessiert. War es Feingefühl, daß er den Gefährten Zeit gab, um zu Atem zu kommen?
Als sie ihre schlimmsten Verletzungen versorgt hatten, begann Eisschwinge zu sprechen: „Ich danke Euch. Nicht nur dafür, daß Ihr meinem Boten die Artefakte überlassen habt, sondern auch für die Gelegenheit, eine zukünftige Gefahr für meine Rasse abzuwenden. Im Moment sind wir quitt - aber vielleicht begegnen wir uns irgendwann noch einmal."
Sein riesiges Maul verzog sich zu so etwas wie einem Lächeln - falls das bei einem Drachen überhaupt möglich war. Bevor die Freunde etwas erwidern konnten, breitete er seine Flügel aus und verschwand in den dunklen Himmel.



Weiter

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zurück zur Startseite